Kurz-Kurzgeschichte: Der fahrende Witz
Sabine kämpfte gerade mit der letzten Tasche, die nicht mehr in das bis oben hin vollgestopfte Auto passte. Es war halt doch nur ein Mini und, wie Thomas ihr jüngerer Bruder bemerkt hatte, zu winzig für einen Umzug. Während Sabine noch verzweifelt versuchte von Innen auf dem Beifahrersitz Platz zu machen, zwischen der Zimmerpalme und diversen Tüten, schaffte Thomas es die Tasche tatsächlich in den Kofferraum zu packen. Grinsend überbrachte er seine Erfolgsmeldung. Sabine blieb gleich sitzen und verabschiedete sich. Heute würde sie erst mal in ihr WG-Zimmer einziehen und bekam dafür den Schlüssel. Wie immer war sie ein bisschen zu spät dran. Hoffentlich wurde der Rest des Studentenlebens nicht auch so chaotisch. Zweihundert Kilometer Fahrt lagen vor ihr und ein neue s Leben.
Mit rasantem Tempo machte sich Sabine auf den Weg. An der letzten Ampel vor der Autobahn fing alles an. Dort stand eine Horde Schüler am Straßenrand. Plötzlich deutete ein kleiner rothaariger Junge auf ihr Auto und tippte sich ein Vogelzeichen an die Stirn. Unverschämtheit, dachte sich Sabine. Es wurde grün. An den Jungen erinnerte sich Sabine erst zwanzig Kilometer später, als sie auf der Autobahn hinter einem Bus mit Rentnern durch eine Baustelle fuhr. Wieder wurde auf ihren schwarzen Mini gedeutet und einer, der sich anscheinend für besonders lustig hielt, machte mit seinen Armen Flugbewegungen wie ein Vogel. Dabei riss er seinem Nebenmann die Brille von der Nase. Anscheinend waren die völlig verwirrt oder total besoffen. Es dauerte nicht lange, da wurde die mittlerweile völlig verwunderte Sabine erneut belästigt. Sie fuhr nun an einer Wagenkolonne der Bundeswehr vorbei. Das Resultat war, dass sie offenbar wieder komplette Heiterkeit zu erregen schien. Da wurde gehupt, andere rieben sich, anscheinend vor Lachen, die Tränen aus den Augenwinkeln.
Sabine beschleunigte ihr Tempo, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten. War heute vielleicht Vollmond? Freitag der dreizehnte kam auf jeden Fall nicht in Frage. Es dauerte nicht lange, da passierte schon der nächste Zwischenfall. Gerade als Sabine dachte, dass es aufhört, ging es erst so richtig los. Mit zackigem Tempo wurde sie von einem grauen Wagen überholt, der sich als Zivilstreife der Autopolizei entpuppte. Man gab Sabine das Zeichen sie solle rechts rausfahren, hinter dem Polizeiwagen her. Bei der nächsten Raststätte konnte die mittlerweile völlig verunsicherte Sabine endlich anhalten. War etwa an ihrem Auto etwas nicht in Ordnung? Nervös stieg sie aus und stellte sich den recht vergnügt dreinblickenden Beamten in Zivil. Vielleicht war das ja versteckte Kamera? Der jüngere der Beiden deutete wie so viele an diesem Tag auf Sabines Mini, mit der Frage ob sie immer so Autobahn fahren würde. Völlig irritiert drehte sich Sabine um. Ihre Gesichtsfarbe wechselte von sehr blass in dunkelrot. Kein Wunder, dass sie die Erheiterung ihrer Mitreisenden erregt hatte.
Mitten auf ihrem Dach, an ihrer Antenne befestigt hing ihr Autovogel. Normalerweise lag das Plüschtier auf der Rückbank ihres Autos. Das allein wäre nicht weiter schlimm gewesen. Zu alle dem hatte der dreißig Zentimeter große Vogel mit dem grotesk langen Hals, den wirr abstehenden Kopffedern, und dem spitzen Schnabel noch einen roten BH an seine langen Beine geknotet bekommen.
Mittlerweile scharten sich die ersten Schaulustigen. Ein kleines Kind lachte und zwei Frauen standen kichernd daneben. Sabine stammelte etwas von peinlicher Streich und kleiner Bruder. Der ältere Polizist erklärte ihr, dass sie doch bitte den Vogel vom Dach nehmen solle, da dieser die anderen Verkehrsteilnehmer beeinträchtigen würde. Sabine wollte nichts wie weg. Mit dem abmontierten Vogel unter dem Arm stieg sie in ihr Auto und blickte dabei in die Augen eines jungen Mannes, der sich ebenfalls königlich zu amüsieren schien. Mit hochrotem Kopf gab Sabine Gas.
Vierzig Minuten später kam Sabine ohne weitere Zwischenfälle wohlbehalten in Worms an. Sie klingelte an der Wohnungstür und traute ihren Augen nicht. Vor ihr stand der junge Mann vom Rastplatz. Am liebsten wäre Sabine im Boden versunken. Er blinzelte ihr jedoch verschwörerisch zu und meinte grinsend: „Nett dich wieder zu sehen. Ich heiße Andreas. Sieht so aus als werden wir in unserer WG noch viel Spaß mit dir haben.“